Eines Nachts

Es ist trübe. Nebel hängt wie ein dichter Vorhang über der Welt und transformiert jede Existenz in ein matschiges Grau. Man sieht kaum den Boden, aber auf irgendetwas setzt er Schritt um Schritt, also muss es wohl einen Boden geben.
Zumindest hier fällt er nicht ins Endlose. Endlose Furcht, endlose Zermürbung, endlose Vorwürfe, endlose Trauer. Diese Dinge haben keinen Boden. Es sind gähnende, hungrige Löcher begierig jeden aufzusaugen, der ihnen in die Falle läuft.
Dicke Tropfen lösen sich von seinem Körper als er sich schüttelt und fliegen ins Nichts. Kurz innehaltend schaut der Mann ihnen nach. Die Stille der Umgebung hat etwas Wohltuendes. Hier kann man vergessen wer man war, woher man kam. Es spielt keine Rolle wohin man ginge, denn jeder Meter ist wie der andere. Er mag zudem die Feuchte, liebt das Element Wasser, welches diese Witterung mit sich bringt. Es erfrischt ihn, reinigt sein Inneres, als würde man durch ein Netz laufen, an dem alles Schlechte hängen blieb.
Ein Ast, den er übersehen hatte, trifft seine Stirn. Es schmerzt. „Du bist kein gutes Kind“, meint der Mensch am anderen Ende der Leitung. Gesagt wird etwas anderes, er hört es jedoch nur undeutlich, obwohl die Lautstärke des Telefons auf höchster Stufe eingestellt ist. Es liegt vermutlich daran, dass durch den Nebel die Ausbreitung des Schalls abgedämpft wird. Es ist gut nicht alles zu hören. Diese Welt hier ist gut, denn niemand findet ihn hier. Der Mensch - er glaubt es ist sein Vater - spricht derweil weiter. Dem Mann wird klar, dass sein Gegenüber nichts von der Existenz dieser Welt hier weiß, nicht weiß wo der Mann lebt, oder warum er dort lebt.
Kein guter Sohn… Ein guter Sohn würde sich um seine Mutter kümmern, gerade weil sie zwei so ähnliche Seelen sind. Er sieht den offensichtlichen Zusammenhang nicht. Er hat einfach keinen guten Sohn.
Das plötzliche Erscheinen eines Schattens vor ihm ließ ihn aufblicken. Sie ist auch hier… Beide wissen voneinander, treffen ab und zu aufeinander, aber irren weiterhin alleine durch den Nebel. Es gibt vermutlich kein „zusammen“ im Nebel. Gibt es überhaupt ein „zusammen“?
Es wurde plötzlich kälter. Kein guter Sohn… „Sie wollte sich umbringen, aber deinetwegen hatte sie neuen Lebensmut bekommen.“
Kein guter Sohn… Wie ein böses Mantra hallt es durch seinen Kopf. Ein unerträgliches Stechen macht sich in seinem Herz breit. „Fort, nur fort von hier, bevor das Begreifen wieder anfängt“, denkt er noch. Aber es ist zu spät. Andere, bösartige Schatten kommen hinzu. Er läuft, rennt. Aber sie sind schneller als er, umkreisen ihn, kommen so nahe, dass er ihre enttäuschten Gesichter sieht. Er krümmt sich zusammen und verschließt seine Augen, in der Hoffnung, dass sie alle verschwinden würden. Es wird nichts helfen, er kennt ihre Natur. Sie sind die, die sind, allein weil sie sind.
Wären sie nicht mehr… Wären ihre Klauen nicht mehr, die an ihm zerren, ihn zerreißen. Wäre dieser Strudel nicht… Wäre er ein guter Sohn…
Er schreit, die Schuld in seinem Kopf dreht sich, die Erinnerungen an all die Ereignisse verdichten sich. Sein Herz schlägt immer schneller, er hat unsagbare Angst. Diese Monster sind zu groß für ihn. Sein Verstand stößt an Grenzen. Er wird genau hier wahnsinnig werden und kann nur lachen.
Dann hört er die Sirene, jemand macht sich an seinem Arm zu schaffen. Er spürt ein leichtes Stechen und sinkt, und sinkt, bis da nur noch süße Schwärze ist.

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