Eine Liebesgeschichte

Er liebte es mit der Dunkelheit zu verschmelzen, Eins zu sein mit dem Gegenteil seiner selbst. In sie einzutauchen hieß zu verschwinden, diese Welt hinter sich zu lassen, die er am liebsten verschlungen hätte. Aber er war ja nicht der Fenriswolf.
Es war nicht nur das strahlend weiße Fell, welches nur durch einen schwarzen Punkt auf seinem Kopf und der schwarzen Schwanzspitze unterbrochen wurde, dass ihn von der Dunkelheit abhob. Sein Herz und seine Seele selber leuchteten ebenso hell.
Er atmete ruhig aus und versuchte sich zu entspannen. Er war auf der Suche, aber der Weg verlor sich immer wieder direkt vor ihm. Er hatte eine überragende Sehschärfe, ein sehr sensibles Gehör und einen ausgezeichneten Geruchsinn, aber dieser eine Weg verschwand einfach immer wieder. Er fragte sich wie es möglich war ihn dermaßen zu täuschen. Sicher, er war intelligent. Er wusste auch, dass Intelligenz und Klugheit zwei verschiedene Sachen waren und dass er im Zuge dessen jemand war, den man vielleicht nur allzu leicht täuschen konnte. Vielleicht hatte die Suche ihn auch blind werden lassen.
Er schüttelte vehement den Kopf. Die Tropfen, die sich in der feuchten, herbsterfüllten Umgebung des Waldes auf seinem Fell gebildet hatten flogen zu Seite. Die Suche war das Einzige, das Letzte, das Heiligste in seinem Leben. Er durfte nicht daran zweifeln. Sie hatten ihn geschlagen, sie hatten ihn geschunden auf dieser Mission. Hatten ihn beinahe so weit, dass er den Weg nie wieder gefunden hätte, dass er ihn vergaß. Aufgeben war keine Alternative mehr, also schritt er weiter.
Das Laub im Wald hatte sich bereits tief orange gefärbt, hier und da waren auch noch einige gelbe Vertreter, aber das Grün war bereits endgültig aus dieser Welt gewichen. Er brauchte nicht sehen um es zu wissen. Er roch es. Es war der typisch feucht modrige Geruch des Waldes zu dieser Jahreszeit. Die Zeit wurde knapp, bald würde Winter sein und damit würde alles enden. Diese Endgültigkeit wurde ihm schlagartig bewusst, sie schockierte ihn.
Tiere weinen nicht, so sagt man. Der Wolf setzte sich auf und warf einen sehnsüchtigen Blick nach oben. Dort stand, in voller Pracht, der Mond. Das funkelnde Firmament rührte sein Herz immer wieder aufs Neue. Wie gerne würde er diesen Anblick teilen, wie gerne würde er heulen. Er blickte zu seiner Seite doch dort war niemand, und war dort je jemand gewesen? Er erinnerte sich nicht, auch nicht daran wie lange er schon hier im Dunkeln herumirrte. Wann war es das letzte Mal hell? War es jemals Tag gewesen? Er schloss die Augen und versuchte sich ein Bild besserer Zeiten auszumalen. Doch alles blieb schwarz. Er öffnete die Augen und erschrak.
Auf einer Lichtung vor ihm, ganz eindeutig auf dem Weg, denn deutlicher hatte er ihn selten zuvor gesehen, war etwas. Es roch gut, war aber kaum zu erkennen. Er schlich sich an, versteckte sich kurz vor seinem Ziel hinter einem Baum und beobachtete.
Er hatte so etwas bereits früher wahrgenommen. Vor ihm war ein weiterer Wolf, aber er war anders als er selber. Sein Herz schlug höher, sein Puls beschleunigte sich. Der Andere versperrte eindeutig den Weg, doch wenn der Weiße etwas gelernt hatte, dann, dass der Weg nie ohne Grund versperrt war. Die letzten Male waren es Monster gewesen, ganz ähnlich wie dieser hier. Sie sahen harmlos aus, friedliebend, nett, schön, aufregend. Diesmal würde er sich jedoch nicht täuschen lassen. Er machte sich bereit, spannte jeden seiner Muskeln, setze zum Sprung an und war mit einem Satz auf der Lichtung. Er fing an bedrohlich zu knurren. Er würde bis zum Tod gegen dieses Geschöpf kämpfen, denn er musste dem Weg folgen. Er blinzelte für den Bruchteil einer Sekunde und spürte eine Pfote auf seinem Mund. Er riss die Augen vor Überraschung weit auf. Wie konnte jemand so schnell sein? Er musterte sein gegenüber. Er hatte schwarzes Fell, welches im Mondschein glänzte. Auf seinem Kopf befand sich ein weißer Fleck, seine Schwanzspitze hatte ein weißes Ende.
„Scht… Du störst die Schönheit des Augenblicks.“ Seine Stimme war so sanft, wie der Wind im Sommer und der Weiße erinnerte sich schlagartig. Sommer… Alles war erblüht, die Bäume strahlten im kräftigsten Grün. Gerade war ein Schauer über den Wald geprasselt, aber die Sonne war bereits dabei das Wasser in der Umgebung und seinem Fell zu verdampfen. Er wollte kurz ein Nickerchen machen doch plötzlich stand er vor ihm. Der Schwarze, so wie jetzt. Doch ehe er ein Wort herausbrachte, wachte er auf… Alles nur ein Traum, oder ein Echo aus der Zukunft?
Die Pfote löste sich von seiner Schnauze und der Schwarze setzte sich neben ihn.
„Schau nur, der Vollmond“, und deutete nach oben, legte dabei, ohne dass der Weiße es merkte seinen Schwanz um diesen. Sie schauten beide nach oben und der Weiße wusste nicht wie viel Zeit dabei verging. Er beruhigte sich zusehends, aber in seinem Hinterkopf klang diese kleine Stimme des Zweifels, die seit der ersten Begegnung auf dem Weg immer da war. Er wollte sich nicht mit jemandem einlassen. Er musste…
„Zum Ende des Weges weiter.“ Der Schwarze ergänzte seine Worte. Er blickte ihn an und dieser blickte zurück. Diese grünen Augen… Wieso hatten sie diesen traurigen Ausdruck? Wieso ist das glückliche Lächeln des Schwarzen auf einmal gewichen?
„Geh ruhig weiter, dieser hier wird dich nicht festhalten.“ Der Weiße war verwirrt, woher wusste er so viel? Er schaute den Schwarzen noch einmal kurz nachdenklich an und trabte dann weiter, ließ die Lichtung hinter sich und verschwand zwischen den Bäumen. Der Schwarze guckte ihm nach, irgendetwas glitzerte in seinen Augenwinkeln, aber zum Glück können Tiere nicht weinen. Im Wald hörte man nur ein leises Flüstern, vom beginnenden Winterwind fortgetragen:
„Erlösung findet man nicht auf einem Weg.“

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